
Liebe Theaterfreunde,
wenn von „hüllenlos“ und „unverblümt“ die Rede ist und dann noch der Name der Stadt Jena fällt, denken zumindest die Leser der „Ostthüringer Zeitung“ an einen Zeitungsartikel vom 30. März 2019, welcher die Inszenierung „Nackt“ vom Theaterhaus der Stadt zum Thema hatte. Lizzy Timmers vom Wunderbaum-Kollektiv, auf deren Idee das Stück basiert, führte uns einen Abend lang durch die Geschichte der Freikörperkultur, beginnend von der Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts, bis hin zu DDR und in einigen Ansätzen der neuen FKK-Bewegung, deren Freiräume nicht mehr an Seen liegen, sondern sich über Wälder, Wiesen, Museen und Theater erstrecken …
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Als Horst, unser Freund aus Thüringen, das erste Mal von diesem Stück hörte, kam ihm vor wenigen Wochen die Idee, dass man dieser Inszenierung doch einmal – dem Titel folgend – beiwohnen könne. Nach einer langen Konversation ( an der wir nicht ganz unbeteiligt waren, um die sächsischen Naturisten zu versammeln ), stimmte das Theaterhaus zu. Vorsorglich wurden 10 bis 15 Karten reserviert, doch bereits zu Anmeldeschluss, dem 3. Februar 2020 stellte sich heraus, dass wir in etwa die doppelte Anzahl an Karten benötigen würden – am Ende sollten es 41 Zuschauer sein, hinzu kamen weitere junge Leute, die sich zu Beginn der Veranstaltung entschieden, ihre Hüllen fallen zu lassen. Selbst während der Veranstaltung entschieden sich einige Zuschauer des knapp 150 Plätze fassenden Saals ihre Klamotten abzulegen, wovon selbst die Darsteller erstaunt waren …
Da wir während der Aufführung nicht fotografieren durften, entschied ich mich einfach kurzerhand mit dem Theater Kontakt aufzunehmen und um Erlaubnis für die Verwendung der Fotos von Joachim Dette zu erfragen, wie sie im Spielplan des Hauses Verwendung finden. Dem freundlichen Personal ist es somit zu verdanken, dass dieser Artikel in dieser Form entstanden ist.
Ausgehend vom Beginn des 20. Jahrhunderts, der Verheißung durch die Lebensreformer und den Abgründen ihrer dunklen, durch nationalsozialistische Ideologie gefärbten Zwillinge, reisen die Schauspielenden durch die Zeit.
Eine Zeitreise wurde uns an jenem Abend in der Tat versprochen, denn Lizzy Timmers persönlich entschied sich das Stück einzuleiten, weshalb es auch nicht verwunderlich schien, als sie plötzlich hüllenlos auf der Bühne stand, während ihre Kollegen im Hintergrund die Kleidung tauschten oder dem Publikum zeigten, dass sie garantiert nichts miteinander hätten – wenn sich Lizzy da mal nicht irrt 😄 …
Starten sollte die Aufführung mit den Lebensreformern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine bessere Welt schaffen wollten. Richard Ungewitter sei hier zu nennen, dessen Thesen von denen der Nationalsozialisten kaum zu unterscheiden waren, forderte er doch die „Züchtung von germanischen Edelmenschen“, doch auch August Engelhardt, Gründer des „Sonnenorden – Aequatoriale Siedlungsgemeinschaft“ und Erfinder des Kokovorismus, einer Ernährungsweise, in deren Zentrum der Verzehr von Kokosnüssen steht – gestorben ist er übrigens abgemagert an Malaria. 1906 brachte er es immerhin auf ein „stattliches Kampfgewicht“ von 39 Kilogramm bei einer Größe von 1,66 Metern …
Von den Lebensreformern gelangen wir zu den Hippies der ’68er Bewegung, die Klänge von Woodstock ertönen, zu der auch meine Generation durchaus gern mal mitsingt – es liegt ein Hauch von Unbeschwertheit in der Luft, welchen uns Hanneke van der Paardt, als „Tochter einer Hippie-Mutter aus Amsterdam, die nie allein im Bett schlafen konnte“ versucht zu vermitteln.
Über spielerische Momente zwischen ihnen, historisch inspirierte Szenen und ein stetiges Verhandeln des Grades ihrer Nacktheit entsteht eine theatrale Meditation. Körperlich wie ein Reformtanz, betörend wie der Grasgeruch, der über Woodstock lag, sonnig wie ein Sommertag beim FKK.
Doch es geht an diesem einen Abend nicht nur um Geschichte, sondern auch um „persönliche Erfahrungen“, wie bei Mona Vojacek Koper, die sich bei den späteren Nacktproben nie traute, komplett die Hüllen fallen zu lassen, da die anderen Frauen „perfekte Brüste“ hätten und ihre stets Auf-und-Ab hüpften. Es zeichnet sich ein Bild ab, was viele junge Menschen zu Beginn ihrer Pubertät erleben: Die Entwicklung des eigenen Körpers hin zu einem erwachsenen Menschen. Auch wenn die körperliche Entwicklung abgeschlossen scheint, bleiben weiterhin die Ängste bestehen, welche uns in dieser Zeit begleitet haben, sei es die Angst vor Übergewicht, so dass Mona in ihrer Rolle auch gern mal 10 Kilogramm an Gewicht während eines Aufenthaltes in New York verlor, nur um von ihrem Vater zu hören, wie gut sie denn aussähe …
Nach gut zwei Stunden endete die Aufführung schließlich – für uns leider viel zu früh, denn zu gern hätten wir den Darstellern weiter gelauscht, ihren Geschichten zugehört und mit ihnen gelacht.
So bleibt am Ende nur noch zu sagen, dass wir Henrike Commichau, Mona Vojacek Koper, Hanneke van der Paardt, Charlotte Puder, Dominik Puhl, Lizzy Timmers und allen Verantwortlichen des Theaterhaus Jena für diesen tollen Abend danken. Ein ganz besonderes Dankeschön geht an Heike Faude vom Theaterhaus, welche in zahllosen Mails die vielen Einzelheiten mit Horst vereinbarte. Ebenso möchte ich Horst ganz herzlich danken, dass er dieses Erlebnis ins Leben gerufen hat.
Ich hoffe, dass euch dieser Theaterbesuch gefallen hat,
euer Martin
Vielen Dank für den schönen und aufschlussreichen Bericht. Gern hätte ich noch mehr über die Handlung erfahren. Die Beschreibung hat eher neugierig gemacht. Ich werde mal auf der Seite des Theaters nachsehen.
Alles Gute
Eckhard
Hallo,
Ziel des Beitrags war es „neugierig“ zu machen, nicht den Schauspielern die Arbeit zu nehmen. Im Fokus steht bei uns immer das Erlebte, aus Sicht des Autors, sowie aller beteiligten Personen.
Liebe Grüße,
Martin
Auch mir hat der Abend sehr gut gefallen und sage ebenfalls Danke für die perfekte Organisation.
👍😉
Es war ein unvergesslicher Abend. Auch von mir ein dickes Dankeschön an Horst für die gelungene Umsetzung.
LG Torsten